nachdem sich noch keiner getraut hat und ich leider furchtbar neugierig bin (Charakterfehler ich weiß, aber was soll ich machen.... ) würde ich dir gerne drei Fragen stellen, die mich bei deinem Buch am meisten interessieren und vielleicht auch für die anderen Mitleser sehr spannend sind.
Wenn man "Befreiungsschlag" liest merkt man - je weiter die Geschichte fortschreitet - deutlich, wie sehr dir das Thema am Herzen liegt und wie intensiv du dich mit den einzelnen Situationen und vor allem auch den Figuren beschäftigt hast. Jetzt meine drei Fragen:
Warum gerade dieses Thema? (Es gibt so viele Themen und ich finde es total spannend warum du dich gerade für dieses eine, ganz besondere Thema entschieden hast)
Weshalb gerade diese Hauptperson? (Warum gerade ein 17 Jähriger Junge? Weshalb hast du kein anderes Alter oder z.B. ein Mädchen gewählt? Wieso gerade Maik?)
und weil ich gerade so lästig bin...
Wie hast du dich auf die Geschichte vorbereitet? (Gerade eine so schwierige Thematik mit viel Fingerspitzengefühl zu erfassen, die Situationen der einzelnen Personen im Kern zu zeigen und daraus eine spannende aber gleichzeitig nachdenklich machende Geschichte zu schreiben, schüttelt man - denke ich einmal - ja normalerweise auch als erfahrener Autor nicht so locker aus dem Ärmel. Vielleicht gewährst du uns ja einen klitzekleinen Blick hinter die Kulissen. wenn es möglich ist???)
Ich bin schon sehr gespannt auf deine Antworten, lieber Stefan.
Hallo Niam, keine Sorge: Neugierige Menschen sind mir die liebsten. Von daher passt das schon.
Warum habe ich gerade dieses Thema gewählt? Uwe Zissener ist Jugendpfleger im Rhein-Lahn-Kreis (in der Nähe von Koblenz) und veranstaltet Lesungen. Schon seit Jahren schickt er mich mindestens einmal im Jahr für mehrere Tage an Schulen seines Landkreises, wo ich dann für und mit Kindern lese oder Workshops durchführe. Uwe ist ein interessierter Mensch. Ihm ist´s wichtig, Rückmeldungen zu bekommen, und so haben wir uns nach einer Lesereise mal zusammengesetzt, um Manöverkritik zu halten. Allerdings gab es kaum was zu kritisieren und so sind wir schnell ins private Plaudern gekommen. Dabei hat er mir berichtet, dass er ein AGT-Trainer ist. Mir war das kein Begriff und Uwe hat gewiss 90 Minuten lang erklärt und alles mit Beispielen versehen. Und ich saß ihm staunend gegenüber und hatte eintausend Fragen im Kopf. Fasziniert hatte mich die Tatsache, dass er mit einfachen Übungen und einem wohlwollenden Umgang eine sehr hohe Trefferquote erreicht. Ich konnte mir das kaum vorstellen. "Darf ich mir das mal ansehen?", hab ich ihn daher gefragt und er lachte nur: "Klar. Wir sind ja auch ein Streichelzoo. Nein, im Ernst: Das müssen die Jugendlichen entscheiden, ob sie Dich dabei haben wollen. Denn, wenn Du zu uns kommst, geht das nicht an ein oder zwei Tagen, dann musst Du Dir die ganze Sache ein Jahr lang anschauen und auch mitmachen." So ist das Ganze entstanden. Die Jungs waren (fast alle) supernett und aufgeschlossen und vor allem: ehrlich zu mir. Schon nach wenigen Tagen war mir klar: Da wird ein Buch draus. Uwe war davon sehr angetan und wir haben perfekt als Team funktioniert.
Weshalb gerade diese Hauptperson? AGTs gibt es auch für Mädchen, doch die verlaufen komplett anders als die für Jungs. Und weil ich nur über das schreiben wollte, was ich selbst erlebt hatte, schied also ein Mädchen-Roman aus. 17 Jahre ist ein ganz typisches Alter für AGT-Teilnehmer, daher lag das auf der Hand. Der Namen Maik war übrigens ein Herzenswunsch von Uwe. Denn einer seiner ersten AGT-Teilnehmer - einer, der völlig auf der schiefen Bahn gelandet war, aber durch das AGT in ein wunderbares, geregeltes, gewaltfreies Leben gefunden hat - heißt Maik. Noch heute verbindet die zwei eine sehr gute Freundschaft. Und um dem wahren Maik Respekt zu zollen für die immense Lebens-Leistung wollte Uwe unsere Hauptperson unbedingt Maik nennen. Mir war das natürlich sehr recht. Ich selbst aber kenne den echten Maik (noch) nicht. Er lebt mit Familie in der Schweiz.
Wie hast du dich vorbereitet? Tatsächlich hab ich mich fast gar nicht vorbereitet. Natürlich hab ich mal "AGT" gegoogelt, aber (wie im Buch beschrieben): Da gab es zu dieser Zeit nur ellenlange und gleichzeitig nichtssagende Referate. Damit konnte ich nichts anfangen. Nein, mein Glück war, dass die Jungs mich herzlich aufgenommen und mir sehr viel Interesse entgegengebracht hatten. Keiner von ihnen ist Leser, aber alle haben Respekt vor der Literatur. Jede Frage von mir war erlaubt. Es gab keinerlei Tabus. Einige der Übungen habe ich beobachtet, viele habe ich selbst mitgemacht. Und sowohl die Gruppe als auch die Trainer haben mir freie Hand gelassen. Insofern habe ich eigentlich ein richtiges AGT absolviert, mit allen Emotionen und auch Refelexionen, die dazugehören. Ich habe SEHR VIEL gelernt in dieser Zeit. Über mich selbst, über mein Umfeld (also Dinge, die früher geschehen sind und die ich nun besser einordnen kann). Und ich denke, daher entsteht auch die Nähe zum Text - oder besser: zum Leser. Denn in dem Buch ist nichts beschrieben, das ich nicht so oder ganz ähnlich selbst erlebt oder gesehen habe.
Ich hoffe, ich war Dir damit eine Hilfe. Wenn es weitere Fragen gibt: GERNE!!!!! Ich versuche auch stets, zeitnah zu antworten.
Vielen Dank für die aufschlussreichen Antworten, lieber Stefan!
Die beiden AGT - Trainer scheinen ja in der Realität ebenso faszinierende Menschen zu sein, wie die beiden Trainer im Buch. Ein ganzes Jahr ein AGT Training mitzumachen ist bestimmt eine extrem spannende Erfahrung, in der man viel über andere, aber auch einiges über sich selbst entdeckt. Ich kann mir gut vorstellen, dass du da sehr viele aufschlussreiche und eindrucksvolle Erlebnisse gehabt hast.
Es ist immer wieder toll, vom "Chef" persönlich etwas über die Hintergründe und das Entstehen seines Buches zu erfahren.
Hallo Niam, ja - wie gesagt: Ich habe sehr viel über mich gelernt in dieser Zeit. Ein Beispiel: Nach einigen Wochen wollten die Jungs mal mich ausquetschen. Und weil sie stets (!!) sehr ehrlich und offen mir gegenüber waren, wollte ich auch keine Frage unbeantwortet lassen. Doch schnell kam das Thema "Probleme in der Jugend" auf und die Dinge, die mich damals klein gehalten hatten. Die Gewalt, die mir persönlich angetan worden ist. Schließlich fragte Dirk (derjenige mit den dicksten Muskeln am Körper): "Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum hast du dir nicht Muskeln zugelegt und es allen gezeigt?" Ich konnte ihm an diesem Abend keine Antwort geben. Auch die Woche danach und danach die Woche nicht. Diese Frage hatte mich sehr beschäftigt. Und schließlich wurde mir alles klar. An einem späteren Abend hab ich in der Gruppe Dirk angesprochen: "Du, ich bin dir noch eine Antwort schuldig." Dirk: "Ich weiß." Ich: "Ich möchte dir sagen, warum ich nicht daran dachte, mir Muskeln zuzulegen." Dirk: "Und?" Ich: "Ich glaube ... ich glaube, ich hatte Angst, da zu landen, wo du gerade bist." Schweigen. Langes Schweigen. Schließlich sagte Dirk: "Ich weiß, was du meinst und kann dich voll verstehen."
Hallo Mrs.Bennet, ja, es gibt auch AGT für Mädchen, allerdings verlaufen die ganz anders, weil tendenziell und in der Regel die Gewalt, die von Mädchen ausgeht, anders verläuft. Daher werden eigene Mädchen-AGTs angeboten, die meist von Frauen geleitet werden (muss aber nicht sein). Was aber gar nicht geht, das sind gemischte AGTs. Denn dann sind die Jugendlichen mit ganz anderen Dingen beschäftigt und man kommt nicht zu den eigentlichen Themen.