Als Jude Finney vor einigen Monaten Miss Rathbone kennengelernt hat, stellte er fest, dass er Geister sehen und mit ihnen kommunizieren kann. Seither verbringt er viel Zeit mit Miss Rathbone und den Geistern vom Highgate Cemetery, einem der ältesten Friedhöfe Londons. Da er seine Mutter nie kennengelernt hat und sein Vater beruflich oft unterwegs ist, vermisst ihn zuhause niemand.
Eines Nachts findet er auf dem Friedhof ein Mädchen, das sich nicht mehr erinnern kann, wer sie ist und wie sie dorthin gekommen ist. Im ersten Moment denkt Jude, sie sei ein Geist, aber da sie sich anders anfühlt, bringt er sie zu seinen Freunden. Die Geister geben ihr den Namen “Story” und finden heraus, dass Storys menschlichterKörper entführt wurde und im Sterben liegt. Mit jeder Erinnerung, die zurück kommt, nähert sich der Mensch, der zu Story gehört, ein wenig mehr dem Tod.
Um herauszufinden, wie man demMädchen helfen kann, machen sich Jude und Story auf den Weg zum Friedhof von Lady Lovelace. Doch als sie dort ankommen, finden sie die Statue der “Lieblosen” zerstört vor. Sie werden von gesichtslosen Männern bedroht, die durch die Grabreihen schreiten und die Geister der Toten mit ihren Laternen aufsaugen. Mit viel Glück können Jude und Story entkommen.
Nach einem Streit mit seinem Vater erfährt Jude, was es mit dem dunklen Licht in den Laternen auf sich hat. Doch nun kämpft er an zwei Fronten, zum einen müssen er und Story das Mädchen finden, dass zu Storys Geist gehört und sie müssen die Geister der Friedhöfe Londons vor den Gesichtslosen mit den Laternen retten…
Meine Meinung:
Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass es dem Leser den Angstschweiss auf die Stirn treibt, wenn ein Friedhof zum Schauplatz einer Geistergeschichte wird. Ganz anders bei Christoph Marzi. Zu Beginn des Buches nimmt der Protagonist Jude den Leser mit auf den Friedhof Highgate Cemetery, wo der Leser erfährt, wann Jude zum ersten Mal einen Geist sah und wessen Geister den Friedhof bevölkern. Zusammen mit Jude lernen wir “Story” kennen.
Der Autor stellt den Friedhof als einen faszinierenden Ort mit einer ganz eigenen Atmosphäre dar, einen lebendigen Ort, vor dem man sich auch nachts nicht ängstigen muss. Mit den bildhaften Beschreibungen hat es Christoph Marzi schon in der Einführung geschafft, mich in den Bann der Geschichte zu ziehen.
Aber auch der Angstschweiss-Faktor kommt noch zum Tragen, denn zusammen mit Jude und Story schickt der Autor seine Leser auf eine Reise durch London – auf einen Friedhof, der genau das Gegenteil von Highgate Cemetery darstellt: einen Ort voller Zerstörung und dunkler Gestalten, aber ohne die Geister, die Highgate Cemetery so lebendig machen und von denen jeder seine ganz eigene Geschichte hat.
Mit der Suche nach der Vergangenheit von Story und der Ursache für den Niedergang der Geister auf den Friedhöfen, sorgt Christoph Marzi dafür, dass der Leser nicht nur von der phantasievollen Welt hinter den Friedhofsmauern gefesselt wird, sondern auch von einem spannenden Handlungsstrang, in dem es um das nackte Überleben und natürlich viel Geld geht.
Memory – Stadt der Träume ist ein wunderschönes Buch, das in dem London spielt, das wir kennen, erweitert um eine Geisterwelt, die wir nicht sehen. Es zeigt dem Leser auf, wie wichtig Träume sind. Am Ende habe ich Memory aus der Hand gelegt mit dem Wissen, dass es für die Guten zu einem guten Ende gekommen ist und die Menschen auch in Zukunft etwas haben, wofür es sich zu Leben lohnt.
Jude Finney hat eine besondere Fähigkeit: Er kann die Träume der Toten sehen. Auf dem Highgate Cemetery, in einer Welt zwischen Realität und Traum, begegnet er der geheimnisvollen Story, einem Mädchen, das tausend Geschichten kennt, aber sich an seine eigene nicht erinnern kann. Jude ahnt, dass Story noch lebt, irgendwo in den Straßen von London. Und dass es höchste Zeit wird, sie zu finden.
Gestaltung:
Die gebundene Ausgabe hat vorne auf dem Cover Silberapplikationen am schwarzen Tor, was meiner Meinung nach sehr edel aussieht. Leider jedoch zieht sich diese Verzierung nicht über das ganze Buch (sprich Buchrücken und der hintere Buchdeckel sind ohne), was ich ein bisschen Schade finde, da es nun so aussieht, als wäre etwas vergessen worden. Das Motiv finde ich jedoch gut gewählt, es wirkt mystisch und geheimnisvoll mit dem Nebel und das Tor könnte vom Highgate Friedhof stammen und den Leser in die Geschichte einlassen.
Meine Meinung:
Christoph Marzis Geschichte um Jude und Story ist interessant und abwechslungsreich gestaltet. Es geht um ein Thema, das nicht allzu häufig in Büchern anzutreffen ist: Geister, Friedhöfe und Kizunes (Füchse aus japanischen Legenden).
Gut gefallen hat mir der wunderschöne, bildreiche Schreibstil, an den man sich erst gewöhnen muss, was aber recht schnell geht. Der Erzähler ist in der dritten Person gehalten und in der ersten Person. Dies variiert je nachdem, ob Erinnerungen dargeboten werden oder eben Erzählungen. Wenn man sich an diesen Wechsel bzw. diesen Misch gewöhnt hat, ist schnell zu erkennen wann was erzählt wird.
Auch gut gefallen hat mir, dass die Figuren so schön ausgestaltet waren. Story/Penny war mir supersympathisch mit ihrer doch traurigen Geschichte und dann der Protagonist Jude, der sich langsam in sie verliebt. Er ist ein mutiger junger Mann, der sich auf dem Friedhof wohler fühlt als unter Menschen, was man ja auch nicht alle Tage erlebt. Die Beziehung zwischen diesen beiden Figuren hat sich ganz seicht entwickelt und dennoch hat man immer die starke Verbindung der beiden gespürt, was ich sehr gerne mochte. Es musste nicht, wie in so vielen anderen Büchern, offen geschwärmt werden, wie toll der andere doch ist, sondern diese Botschaft schwang einfach immer unterschwellig mit.
Mir fiel es schwer, in die Geschichte reinzukommen, ich brauchte dafür wirklich sehr viele Seiten und konnte mich irgendwie nicht sofort in die Story reinfinden und reinsinken lassen. Das lag vielleicht vor allem auch daran, dass es viele Gespräche und viel Gerede gab, bis überhaupt endlich mal etwas Interessantes passiert ist. Aber nachdem dann endlich irgendwas Spannendes geschehen ist, ging es sofort wieder dazu über, dass viel geredet wird.
So kam es dann auch, dass das Ende meiner Meinung nach viel zu kurz und knapp gehalten war. Es war wirklich ein spannendes und den Leser vor allem atemlos haltendes Ende, aber dadurch, dass vorher so viel Energie darauf verwendet wurde, miteinander zu reden, erschien es beim Lesen so, als wären nicht mehr genügend Seiten übrig, das Ende, das eigentlich das Spannendste am ganzen Roman war, auszubreiten. Nachdem wirklich das ganze Buch auf dieses Ende hin gearbeitet wurde, kam das Ende einfach zu schnell, im Vergleich zur langen Hinführung.
Fazit:
Die Geschichte um Jude, ein Junge der Geister sehen kann, und Story, ein mysteriöses Mädchen von dem zu Beginn nicht klar ist, was genau sie ist, ist ein mysteriöses, packendes Abenteuer mit einem wunderschönen Schreibstil und toll ausgestalteten Charakteren. Negativ waren jedoch die vielen Gespräche, durch die so manch ein Handlungsstrang einfach zu kurz kam und nicht genügend ausgebaut wurde. So wurde auch das Potenzial des Endes nicht voll ausgenutzt und war viel zu kurz im Vergleich zu den vorherigen Redeanteilen und der dann doch sehr lang erscheinenden Hinführung zum Ende.